VIPs und VVIPs
Am Sonntag war es für mich wieder Zeit für einen Besuch der Playing Area – zumindest war das der Plan. Also bin ich mit der Mannschaft in den Bus gestiegen, der inzwischen um 14:30 Uhr abfährt, was in Anbetracht der kurzen Strecke zum Spiellokal durchaus Sinn ergibt. Beim Eingang in den Saal wurde ich zunächst auf 15:10 Uhr vertröstet, vorher dürfen anscheinend nur die Spieler und die Kapitäne hineingehen. Auch das ergibt Sinn. Weniger Sinn ergibt es allerdings, dass unser rasender Reporter Paul Meyer-Dunker auch nicht hineingelassen wurde. Ich hoffe doch sehr, dass das bis zur morgigen Runde geklärt wird. Nach einem kurzen Abstecher in den Pressebereich versuchten wir beide es dann etwas später noch einmal, aber dieses Mal kamen wir auch nicht weit, sondern nur in den für die Öffentlichkeit vorgesehenen Bereich. An sich sollte ein Mitglied des Schiedsgerichts überall hingehen dürfen, wo es einen Protest geben könnte, aber ohne die richtige Badge wollte ich keine Diskussionen mit den Ordnungshütern beginnen. Da die aber in Arbeit sein soll, werde ich es morgen noch einmal versuchen.
Die oben abgebildete VIP-Badge war aber ausreichend, um die gleichnamige Lounge aufzusuchen. Dort saßen und standen einige sehr wichtige Personen und (mindestens) eine sehr sehr wichtige Person, wenn man seine Badge zugrunde legt: Vishy Anand gab sich die Ehre. Im Hotel reagieren alle Gesprächspartner mit einem noch strahlenderen Lächeln als ohnehin schon, wenn man seinen Namen erwähnt. Er genießt hier den Status eines Volkshelden – um so bemerkenswerter, dass er stets bescheiden und zurückhaltend auftritt.
Die sehr wichtigen Personen sprachen über die anstehenden Wahlen und ich wurde zweimal gebeten, meine Stimme für einen bestimmten Vizepräsidenten abzugeben. Für vier frei zu wählende Positionen gibt es vierzehn Kandidaten, darunter zwei Frauen. Einer der vier Posten muss allerdings mit einer Frau besetzt werden, und das Prozedere ist so, dass es mehrere Wahlgänge gibt, bei denen jeweils ein Teil der Kandidaten ausscheidet, also ähnlich wie bei der Wahl des Nachfolgers des britischen Premierministers. Die von mir im Verlauf der Diskussion ins Spiel gebrachte elektronische Wahl (wie sie seit zwei Jahren auch bei Präsenzversammlungen beim DSB praktiziert wird) wurde kategorisch abgelehnt, weil es einen Zusammenhang geben könnte zwischen der Nationalität der Kandidaten und dem Land, aus dem die IT-Firma kommt, die die Wahl betreut. Stattdessen werde ich mich also mehrmals hinter dem Schachfreund Iashvili und vor dem Schachfreund Ameku in die Schlange vor den Wahlurnen einreihen. Aber der Kongress findet ja erst in einer Woche statt – dazu später mehr.
Spannend waren die Gespräche über das Thema nationale Wertungszahl. In Spanien gibt es sogar zwei davon: Eine landesweite und eine regionale. Fabiano Caruana soll zum Beispiel eine KWZ (katalanische Wertungszahl) von 2500 haben, die sich aus einer Partie ergeben hat. Wenn ich das richtig verstanden habe, bekommt man nach dem Umzug von einer Region in eine andere auch eine andere Wertungszahl. Die Spanier haben deshalb beschlossen, alle nationalen und regionalen Zahlen abzuschaffen und nur noch mit der ELO-Zahl zu arbeiten. Die beiden Hauptargumente bei der analogen Diskussion in der Arbeitsgruppe DeWIS-MIVIS gegen diesen Schritt waren zum einen, dass man dann immer einen FIDE-Schiedsrichter braucht und dass man sich der FIDE und ihren Gebühren ausliefert. Das erste Argument wurde von meinem spanischen Gesprächspartner damit entkräftet, dass man für eine an die FIDE zu entrichtende Gebühr in Höhe von 20 Euro jeden nationalen Schiedsrichter autorisieren könne, ELO-gewertete Partien zu betreuen und das zweite Argument sei ein Problem der Spieler und nicht der Föderation. Beides hat mich nicht überzeugt. Ich denke, wir sollten nicht dazu übergehen, 17 zusätzliche Wertungszahlen einzuführen (also pro Landesverband eine), aber insbesondere im Kinder- und Jugendbereich erscheint mir die ausschließliche Fokussierung auf die ELO-Zahl nicht zielführend – abgesehen von den beiden bereits genannten Argumenten.
Da ich mein Handy nicht dabei hatte, weil ich ja eigentlich den Spielsaal betreten wollte, gibt es jetzt anstelle der (sehr) sehr wichtigen Personen die abendlichen Buffets zu sehen.